Die Marketenderin
von 1812
und andere Veteranen
Als
Österreich und Preußen gegen die Französische Revolution zu Felde zogen, führte
Frankreich die allgemeine Wehrpflicht ein und schlug wider Erwarten die
gedrillten Söldner der Fürsten glänzend aus dem Felde. Mit diesen
ausgehobenen Söhnen des Vaterlandes erfocht Napoleon seine Siege über die
Berufssoldaten der Gegner. Erst als diese
auch ihre Söldner durch ausgehobene Landeskinder ersetzten, konnten
sie das Vaterland von der Knechtschaft Napoleons befreien. So brachte
die Franzosenzeit mit der allgemeinen Wehrpflicht auch eine Höherschätzung
der Soldaten.
Nach
dem Siege kehrten diese Soldaten in das Alltagsleben zurück und nahmen dort
eine ganz andere Stellung ein als die entlassenen Söldner der früheren Zeit, die
im Invalidenhause ihre letzten Tage verbrachten oder vielfach zur Landplage
wurden. Die siegreichen Einigungskriege Preußens 1864, 1866 und 1870/71 hoben das Ansehen ihrer Mitkämpfer im Volke. In glänzenden Siegesfeiern
ehrten Stadt und Land die heimgekehrten Söhne, die sich zu
Kriegervereinen zusammenschlossen und jährlich im „Kriegerfest" ihre
alten Erinnerungen auffrischten.
Es
lebten noch drei Veteranen aus der Franzosenzeit, die in einem Kutschwagen
den würdigen Schluß der Siegesparade bildeten. Wir wollen uns diese drei
Ehrengäste einmal etwas näher ansehen. Weil die heutige Aufnahme mit Blitzlicht
noch im Schoße der Zukunft schlief, müssen wir uns mit schlichten Worten begnügen.
Der älteste war weiblichen Geschlechts, hatte weder Säbel noch Muskete
geführt, sondern 1812
den Zug Napoleons nach Rußland als Marketenderin mitgemacht. Es war Frau
Ladenkötter, oder wie man sagte, „de aolle Ladenküötterske",
welche den Brand von Moskau gesehen hatte und gesund über die Beresina
in die Heimat zurückgekommen war. Wenn sie auch keine Waffen getragen hatte,
hielt sie es doch für ratsam, den Rückzug in der Uniform eines französischen
Korporals mitzumachen und erst in Deutschland wieder die Kleidung ihrer Geschlechtsgenossinnen anzulegen. Von ihrem Mann ist uns nichts bekannt;
wir dürfen vermuten, daß er ein Soldat der „Großen Armee" war, der auf
den Eisfeldern Rußlands sein Grab gefunden hat. Wo Tausende von Männern der Kälte
erlegen waren, kehrte sie gesund an die Ems zurück und verdiente jahrzehntelang
ihr Brot mit der Hände Arbeit. Eine Zeitlang besaß sie ein Pferd und betrieb
damit ein kleines Fuhrgeschäft. Als einmal der Steuerbote kam, um sie wegen fälliger
Abgaben zu pfänden, trabte sie ihm — ihren Gaul rückwärts reitend — vor der Nase herum, drohte mit der Faust und rief: „Laot mi
eene dat Piärd anpacken!" Die
Steuerkasse hat das Tier nicht erbeutet, aber die ehemalige Marketenderin
hat das „vierbeinige Geschäft" aufgegeben und sich mit Handarbeit
durchgeschlagen.
Als ihre Kräfte versagten, verlebte sie die alten
Tage im Marienstift. Von hier holte sie Sträters Kutsche zum Festzug ab, und
Herr Sträter hob die alte Marketenderin selbst in den Wagen. Sie hatte zur
Feier das Abzeichen der früheren kriegerischen Tätigkeit, ihr Marketendertönnchen,
wieder umgehängt, das sie als Andenken aus der Jugendzeit ihr Leben lang in
Ehren gehalten hatte. Als sie einige Jahre später starb, geleitete der
Kriegerverein die alte Veteranin ehrenvoll zu Grabe.
Der
zweite Veteran aus Napoleons Russenfeldzug war Schievelbein, der als strammer
Grenadier auszog und heil und gesund zurückkehrte. Er hatte wohl das Glück,
nicht der „großen Armee" anzugehören, die nach Moskau zog, sondern
der Abteilung, die auf St. Petersburg marschierte und von der ein Teil unter dem
preußischen General York später zu den Russen überging und damit den
Freiheitskrieg einleitete, in dem Schievelbein ebenfalls Mitkämpfer war. Auch
nach dem Kriege behielt er seinen Säbel und
wurde „Bauernpolizei", d. h. Polizeidiener der Landgemeinde
Rheine. Im Ruhestande zog er in alten Jahren in die Stadt und wohnte auf der Kurzen Straße gegenüber der Wirtschaft und
Brennerei Tombrink, die im Volksmunde „de Schole" hieß. Das gleiche
Unternehmen führte Bertling, heute Lüke
auf dem Hügel, im Volksmunde „dat Gymnasium", weil
die Stammgäste ihren Dämmerschoppen meist bei Tombrink in „de Schole" anfingen
und dann nach Bertling-Lüke aufrückten. „Schole" und „Gymnasium"
waren süße Quellen für den alten
Schievelbein, nicht um Bildung und Weisheit zu
schöpfen, sondern sich seine Buddel füllen zu lassen, so oft es nötig war.
Der Veteran Napoleons war ein
lebendiger Beweis dafür, daß ein guter Schnaps nicht unbedingt der
Gesundheit schadet; denn er hat die 90 Lebensjahre weit überschritten. Bei
gutem, warmem Wetter lehnte er über die untere Hälfte seiner Haustür
und ließ die Passanten Revue passieren. Dabei wurde seine kurze Pfeife den
ganzen Tag nicht kalt und das Aroma seines Fliegentöters zog über die
Kurze Straße.
Eines
Tages lächelte Fortuna dem greisen Kämpfer freundlich zu, das war, als Kaiser
Wilhelm I. den Veteranen von 1813 eine Ehrengabe von 100 Mark aussetzte. Das
geschah damals, als Schievelbein von der Landgemeinde in die Stadt zog. So kam
es, daß Amt und Stadt dem alten Soldaten den Ehrensold auszahlten. Auf diese
Weise nannte er 200 Mark sein eigen, so viel Geld, wie er früher noch nie
besessen hatte. Nun hatten Buddel und Pfeife doppelte Rationen zu leisten, und
ihr Meister schaffte es wirklich, mit dem goldenen Reichtum von 200 Mark recht
bald fertig zu werden. Es war auch hohe Zeit, denn die Stadt hatte ihren Irrtum
erkannt und wollte den Anteil von 100 Mark wiederhaben. Der alte Krieger
gneeste freundlich und meinte: „Es ist nichts mehr da, ich habe alles bis zum
letzten Heller auf Königs Wohl vertrunken und verraucht!" — Der Bote kam
mit leeren Händen zurück, und die Kasse tröstete sich mit dem Spruch: „Wo
nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren."